1. Einleitung
Männlicher Cannabispollen spielt in der Zucht und Erhaltung wertvoller Sorten eine essenzielle Rolle. Während die Natur ihre Bestäubung in gigantischen Mengen an Blütenstaub relativ wahllos durchführt, möchten viele Züchter*innen gezielt und kontrolliert bestäuben – sei es für die Erhaltung seltener Landrassen, für die Entwicklung neuer Hybriden oder um schlicht eigenes Saatgut zu gewinnen.
Dieses Dokument fasst drei umfangreiche Tutorials und Erfahrungsberichte zusammen. Es bietet dir einen ganzheitlichen Überblick über die Gewinnung, Lagerung und Anwendung von Cannabisblütenstaub.
2. Warum Pollen lagern?
- Gezielte Zuchtziele: Mit eingefrorenem oder getrocknetem Pollen kannst du zu einem beliebigen Zeitpunkt eine selektierte weibliche Pflanze bestäuben, anstatt ständig passende männliche Exemplare halten zu müssen.
- Erhaltung genetischer Linien: Seltene oder besonders interessante männliche Pflanzen lassen sich so „bewahren“, selbst wenn die ursprüngliche Pflanze längst nicht mehr existiert.
- Flexibilität in Raum und Zeit: Pollen lässt sich – im Gegensatz zu Stecklingen – leicht per Post verschicken. So können Grower*innen sich gegenseitig unterstützen.
- Reduktion von Aufwand: Kein dauerhaftes „Männerabteil“ nötig, weniger Platzbedarf und bessere Kontrolle, wann und wie bestäubt wird.
3. Anatomie & Reife der männlichen Cannabispflanze
Sobald sich bei regulären (nicht-feminisieren) Cannabis-Sämlingen erste männliche Vorblüten zeigen, ist die Pflanze in Richtung geschlechtliche Reife unterwegs. Aus den männlichen Pollensäcken entwickeln sich nach etwa 2–3 Wochen Blütenstände, die bei Reife aufbrechen und ihren Pollen freisetzen.
- Je nach Sorte und Lichtzyklus beginnen die Pollensäcke ungefähr 15–20 Tage nach Blüteeinleitung (12/12-Licht bei Indoor) zu reifen.
- Äußerliches Merkmal: Die Pollensäcke (umgangssprachlich „Klöten“ oder „Eier“) färben sich hellgrün-gelblich, werden dicker und öffnen sich schließlich.
Zu diesem Zeitpunkt musst du vorbereitet sein, wenn du Blütenstaub sammeln oder eine gezielte Bestäubung durchführen willst.
4. Pollengewinnung – Methoden & Tipps
4.1 Minimale vs. maximale Pollenmengen
- Teilbestäubung: Wenn du nur wenige Hundert Samen brauchst, genügen bereits wenige Staubbeutel.
- Totalbestäubung: Für mehrere Tausend Samen ist mehr Pollen nötig. Hier können umfangreichere Erntemethoden sinnvoll sein.
4.2 Zeitpunkt der Ernte
- Gute Orientierung: Die ersten Pollensäcke öffnen sich (etwa ab Blütetag 17–20).
- Die Hochphase (meist 25.–30. Blütetag) liefert am meisten Staub in kurzer Zeit.
- Ab Blütetag 30–40 lässt die Produktion langsam nach.
4.3 Abklopfmethode
- Für kleinere/mittlere Pollenmengen
- Vorgehen:
- Ein gefaltetes Papier (Auffangschale) unter den Pollensack halten.
- Mit einem schmalen Draht oder ähnlichem Hilfsmittel vorsichtig an den Pollensäcken rütteln/klopfen.
- Der Pollen fällt direkt ins Papier.
- Tipp: Sehr präzise und vermeidet unnötiges Verstäuben im gesamten Raum. Doch bei großen Mengen etwas aufwändig.
4.4 Kragenmethode
- Für mittlere Mengen
- Um den Stamm/Seitentrieb wird ein „Kragen“ (Trichter/Schale) befestigt, in den der abfallende Pollen hineinrieselt.
- Man kann die Pflanze leicht neigen, sodass beim Entfernen des Kragens der Pollen in ein Gefäß gegossen werden kann.
- Nachteil: Bei starkem Wind oder unvorsichtigem Umgang kann Pollen dennoch entweichen.
4.5 Cutten (Äste abschneiden)
- Für mittlere Mengen
- Man schneidet ganze, fast reife Äste ab und legt sie in Pergamentpapier oder Kartonschalen.
- Innerhalb von 2–4 Tagen lösen sich die Pollensäcke, der Pollen fällt heraus.
- Qualitätseinbußen, wenn man zu früh (unreife Säcke) oder zu spät (schon abgestandene Säcke) schneidet. Ideal kurz vor dem vollständigen Aufbrechen.
4.6 Pergamenttütenmethode (R.C. Clarke)
- Für maximale Sicherheit und größere Mengen
- Eine (atmungsaktive) Tüte über den gesamten Blütenstand stülpen und am Stamm luftdicht fixieren.
- Eventuell große Blätter im Inneren entfernen, um Schwitzwasserbildung zu verhindern.
- Sobald die Säcke aufgehen, sammelt sich der Pollen in der Tüte.
- Beim Abnehmen der Tüte vorsichtig verfahren, um nichts zu verschütten.
4.7 Ultraschallbürsten-Methode (Erfahrungsbericht)
- Bei kleinen Projekten mit wenig Platz kann eine Ultraschallbürste (z.B. für Zähne, sehr sanft) helfen, die Staubbeutel gezielt zum „Schütteln“ zu bringen, ohne die ganze Pflanze zu bewegen.
- Ggf. sinnvoll in Kombination mit Abklopfmethode.
5. Trocknung & erste Lagerung
Sobald Pollen aus dem Sack gefallen ist, bleibt er wenige Tage bei Raumtemperatur befruchtungsfähig. Für eine verlässlichere Haltbarkeit (einige Wochen bis wenige Monate) sollte man ihn jedoch zügig trocknen und kühl aufbewahren.
5.1 Schnelltrocknung vs. Lufttrocknung
- Schnelltrocknung mit Silikagel:
- Pollen auf Papier ausbreiten und mit einer Schale/Tüte Silikagel in einen luftdicht schließenden Behälter legen.
- 1–2 Tage bei Zimmertemperatur, später ggf. 2–3 weitere Tage im Kühlschrank.
- Wichtig: Trockenmittel immer getrennt vom Pollen platzieren (z.B. extra Fach/Tüte), damit kein direkter Kontakt entsteht.
- Lufttrocknung:
- 3–4 Tage auf Papier/Pappe bei unter 50 % relativer Luftfeuchte.
- Achten, dass sich keine Feuchtigkeit im Raum bildet (ggf. ein schwacher Ventilator, aber Vorsicht vor Verstäubung).
5.2 Warum Mehl zum „Strecken“?
- Insbesondere wenn sehr wenig Pollen verfügbar ist (z.B. bei Selfing-Projekten, wo weibliche Blüten durch STS/Silberthiosulfat zum Zwittern gebracht werden), kann man ihn mit Mehl mischen.
- „Gestreckter“ Pollen verteilt sich besser auf den Blüten und lässt sich leichter mit einem Pinsel auftragen.
- Mischverhältnisse von 1:1 bis 1:100 (Pollen:Mehl) sind möglich, üblich sind 1:10 oder 1:20.
- Das Mehl muss trocken sein (ggf. vorher im Backofen ausheizen), damit keine Feuchtigkeit in den Pollen gelangt.
6. Sauberkeit & „Safer Sex“
Im Umgang mit Pollen gilt: Je kleiner das Projekt und je gezielter die Bestäubung, desto wichtiger ist eine saubere Arbeitsweise. Ungesteuerte Kontamination kann ganze Zuchträume ungewollt bestäuben oder den Nachbarn verärgern.
6.1 Getrennte Räume
- Ein Frauenabteil und ein Männerabteil sind der Regelfall, um Kontamination zu vermeiden.
- Männliche Pflanzen möglichst nicht im selben Raum oder gar direkt neben weiblichen. Schon wenige Pollenkörner genügen, um hunderte Samen anzusetzen.
6.2 Arbeitskleidung & persönliche Hygiene
- Beim Wechsel zwischen Männer- und Frauenraum ist es sinnvoll, Kleidung zu tauschen (Kittel, Haare abdecken).
- Pollen kann sich in Haaren und Textilien festsetzen und „unbemerkt“ eingeschleppt werden.
6.3 Lüftung & Pollenfilter
- Filter im Zu- und Abluftkanal verhindern, dass Pollen in andere Räume gelangt.
- Mindestens ein Feinstaubpollenfilter (< 20 µm Maschenweite) verringert das Risiko.
6.4 Reduzierung von Wind und Luftströmungen
- Ventilatoren im „Männerabteil“ auf ein Minimum reduzieren oder ganz ausschalten.
- Ruhig und langsam bewegen, keine hektischen Bewegungen, um aufgewirbelten Staub zu vermeiden.
6.5 Projekte nicht parallel überfrachten
- Wer viele Sorten gleichzeitig kreuzen möchte, riskiert leicht Verwechslungen oder Kreuzkontamination.
- Wenn möglich, nacheinander abwickeln oder mit strikt getrennten Kabinen arbeiten.
6.6 Säuberung (Sprühflasche, Oberflächenreinigung)
- Wasser macht Pollen nach kurzer Zeit unbrauchbar. Daher empfiehlt sich das Einsprühen von Oberflächen mit einem Zerstäuber.
- Pollen, der nass wird, „keimt“ quasi im Nichts, stirbt aber nach wenigen Minuten ab.
7. Bestäubung: Teilbestäubung vs. Totalbestäubung
7.1 Vor- und Nachteile
- Teilbestäubung (z.B. einzelne Äste mit Pinsel bestäuben):
- Vorteil: Kontrollierte Saatgutmenge, restliche Blüten bleiben sinsemilla (kernlos).
- Nachteil: Samenausbeute ist begrenzt.
- Totalbestäubung (ganze Pflanze oder ganzer Raum wird befruchtet):
- Vorteil: Maximale Anzahl an Samen.
- Nachteil: Ernte ist voll mit Seeds, weniger „Rauchmaterial“.
7.2 Mehlmethode beim Bestäuben
- Vor allem bei Teilbestäubung beliebt.
- Pollen + Mehl (1:10 bis 1:20) in einer kleinen Schale mischen.
- Mit feinem Pinsel auftragen oder vorsichtig über die Blüten geben.
- Minimiert die Gefahr, versehentlich zu viel Pollen zu verteilen.
8. Langzeitlagerung von Pollen
Für alle, die ihren Pollen mehrere Monate oder gar Jahre aufbewahren möchten, ist eine konsequente Trocknung und kühle oder sogar tiefgekühlte Lagerung unerlässlich.
8.1 Todfeinde: Wärme und Feuchtigkeit
- Warme Temperaturen fördern Oxidation und beschleunigen das „Altern“ des Pollens.
- Hohe Luftfeuchtigkeit lässt Pollen schnell keimen oder verklumpen. Danach stirbt er ab.
8.2 Schritt-für-Schritt-Anleitung (Kurzfassung)
- Ernte der reifen (geöffneten oder fast geöffneten) Pollensäcke.
- Erste Trocknung: 1 Tag bei Raumtemperatur in einem kleinen, geschlossenen Behälter mit Silikagel (z.B. 24 °C und niedriger RLF).
- Zerkleinern/Sieben: Geschlossene Pollensäcke leicht zerdrücken, damit der Pollen freigesetzt wird. Evtl. Hüllenreste aussortieren.
- Zweite Trocknung: 3 Tage im Kühlschrank (5 °C) zusammen mit Silikagel.
- Portionsweise Abfüllen: Kleine Gefäße (z.B. Microtubes) mit 1–2 Silikagelkügelchen.
- Einfrieren: Im Tiefkühler (–18 bis –20 °C) lagern.
8.3 Gefrierlagerung & Auftauprozedere
- Vorsicht vor Kondenswasser: Vor dem Öffnen im Tiefkühlfach bzw. Kühlschrank langsam „temperieren“, indem man die Behälter erst in einer zweiten, größeren Box belässt, damit kein Kondenswasser direkt auf den Pollen gelangt.
- Nach dem Entnehmen einer kleinen Pollen-Portion sollte diese rasch verwendet und ggf. wieder eingefroren werden.
- Mehrfaches Einfrieren und Auftauen ist zwar möglich, kann aber die Potenz schrittweise reduzieren. Besser in kleine Teilmengen portionieren.
8.4 Vakuumierung & Verpackung
- Sauerstoff beschleunigt Oxidation, weshalb eine vakuumierte Lagerung empfehlenswert ist.
- Zur Not reicht ein Glas oder Folienbeutel mit minimaler Restluft. Je weniger Luftkontakt, desto besser.
8.5 Strecken bei Langzeitlagerung – ja oder nein?
- Wenn du Pollen lange einfrieren willst, empfiehlt es sich ohne Streckmittel einzulagern (reiner Pollen).
- Gestreckt wird erst beim Bestäuben, wenn es nötig ist.
- Mehl oder andere Pulver sollten gesondert vortrocknen (z.B. im Ofen), sonst könnten sie Feuchtigkeit an den Pollen abgeben.
9. Erfahrungswerte & Haltbarkeiten
9.1 Kurze Lagerung (Tage bis Wochen)
- Bei Raumtemperatur oft nur wenige Tage bis max. 1–2 Wochen.
- Im Kühlschrank (4–8 °C) und luftdicht verpackt kann sich die Zeit auf 2–4 Wochen oder mehr verlängern.
9.2 Mittelfristige Lagerung (1–4 Monate)
- Dicht verschlossen im Kühlschrank, möglichst trocken und dunkel.
- Bei guter Trocknung und minimalem Sauerstoff ist eine Keimfähigkeit von mehreren Monaten durchaus realistisch.
9.3 Langfristige Lagerung (6–12+ Monate)
- Tiefkühlen bei ca. –20 °C gilt als zuverlässigste Methode.
- Erfahrungsberichte sprechen von 1–2 Jahren Haltbarkeit bei guter Vorbereitung. Manche berichten von sogar deutlich längeren Zeiträumen (3+ Jahre).
- In seltenen Fällen (Laborbedingungen, Flüssigstickstoff) kann man Pollen angeblich über 10 Jahre oder länger lagern.
10. Fazit & Ausblick
Die Arbeit mit männlichem Cannabispollen ist faszinierend und erlaubt es dir, genetische Linien zu erhalten, eigene Strains zu kreuzen oder völlig neue Zuchtwege einzuschlagen. Das A und O ist Sauberkeit und Kontrolle:
- Plane deinen Bedarf an Samen und Pollen.
- Wähle eine der bewährten Methoden zur Pollengewinnung aus.
- Trockne den Pollen sorgfältig und lagere ihn passend (gekühlt oder gefroren).
- Vermeide Kontamination sowohl zwischen verschiedenen Projekten als auch mit Feuchtigkeit oder Schmutz.
Wenn du all diese Punkte beachtest, wirst du sehr zuverlässig Samen deiner Wunschgenetik erzeugen und hast lange Freude an einer gut organisierten Pollenvorratskammer.
11. Literatur & Quellen
- Cannasutra – Blütepollen einsammeln (Kapitel 7b) von „Der Mann mit Hut“ (Stand: 30.12.2022)
- Langzeitlagerung von Pollen – Ernte & Lagerung (verschiedene Erfahrungsberichte & Methoden, u.a. @Frank Gallagher)
- Faktenlage zur Lagerung & Haltbarkeit von Cannabis-Pollen (Diverse Quellen & Forumserfahrungen, inkl. Grower.ch & ICmag)
- Clarke, R.C. (1981). Marijuana Botany: An Advanced Study.
- Weitere allgemeine Erfahrungsberichte und Studien zu Pflanzenpollen (u.a. Harrington (1970), Hoekstra (1995), Roberts (1975)).